Rheinland-pfälzisches Landtagsgebäude nach fast sechs Jahren wiedereröffnet

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Nach fast sechsjähriger Sanierung hat der rheinland-pfälzische Landtag sein angestammtes Domizil wieder offiziell in Besitz genommen.

Nach fast sechsjähriger Sanierung hat der rheinland-pfälzische Landtag sein angestammtes Domizil wieder offiziell in Besitz genommen. Nach einer symbolischen Schlüsselübergabe kamen die Abgeordneten am Mittwoch im sogenannten Deutschhaus in Mainz zu einem Festakt zusammen, bei dem Landtagspräsident Hendrik Hering und Ministerpräsidentin Malu Dreyer (beide SPD) als Redner vorgesehen waren.

Ab Freitag ist das Gebäude auch wieder für öffentliche Führungen geöffnet. Die Sanierung begann Ende 2015. Die Plenarsitzungen des Parlaments fanden in dieser Zeit zunächst im Landesmuseum Mainz statt. Wegen der Corona-Pandemie mussten die Parlamentarier später erneut umziehen und tagten seit Mai 2020 in der Rheingoldhalle.

Ursprünglich war geplant, das Deutschhaus mit der konstituierenden Sitzung des 18. Landtags im Mai 2021 zu eröffnen. Wegen der Pandemie war das jedoch nicht möglich. Die Sanierungskosten stiegen von geplanten 55 Millionen Euro auf 73 Millionen Euro. Das Gebäude wurde zwischenzeitlich komplett entkernt.

Das Deutschhaus wurde zwischen 1729 und 1740 erbaut. Am 18. März 1793 wurde vom Balkon des Gebäudes die Mainzer Republik ausgerufen, die als erste Demokratie in Deutschland gilt. Das Gebäude war zwischenzeitlich Residenz verschiedener Herzöge und Herrscher, auch Napoleon I. war darunter.

„Die Aufholprogramme werden ihre Ziele verfehlen“: Initiative fordert ein zusätzliches Schuljahr für alle Schüler (die wollen)

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BERLIN. Es klingt nach etwas: Zwei Milliarden Euro plant die Bundesregierung, für ein «Aufholprogramm» auszugeben, mit dem die Corona-bedingten Lernlücken von Schülerinnen und Schülern geschlossen werden sollen. Die Länder sollen (mindestens) denselben Betrag noch einmal draufsatteln. Tatsächlich hat zum Beispiel Nordrhein-Westfalen jetzt angekündigt, eine halbe Milliarde in „gezielte Lernprogramme schulischer und außerschulischer Bildungsträger“ zu stecken. Das bringt alles nichts, erklärt nun eine Initiative von Eltern, Elternvertretungen und in der Wissenschaft tätigen Menschen. Sie fordern stattdessen ein zusätzliches Schuljahr.

Die Initiative „Schule braucht Zeit“ verlangt, den Kindern und Jugendlichen mehr Zeit für ihre persönliche Entwicklung einzuräumen, Lernrückstände auszugleichen und emotional-soziale Kompetenzen zu stärken – und ihnen dafür ein zusätzliches Schuljahr einzuräumen. Für „schnelle“ Schülerinnen und Schüler soll es Flexibilität geben, um zügiger den angestrebten Abschluss zu erhalten. Fünf Forderungen werden konkret gestellt. Hier die Erklärung der Initiative im Wortlaut:

Druck herausnehmen, Zeit einräumen

Nach eineinhalb Jahren Pandemie und monatelangem Schul-Lockdown brauchen Kinder und Jugendliche vor allem weniger Leistungsdruck und mehr Zeit. Darum fordern wir eine „Rückgabe“ der verloren gegangenen Zeit für alle Klassenstufen und über alle Schulformen. Diese Verlängerung kann beispielsweise in Form von zwei „Langschuljahren“ oder für G8-Jahrgänge als „Corona-Aufholjahr” im G9-Modus erfolgen.

Begründung: Bis zu 800 Stunden Präsenzunterricht sind wegen der Corona-Pandemie ausgefallen, schätzt der Deutsche Lehrerverband.[1] Durchschnittlich sollen es rund 500 Stunden sein, was einem halben Schuljahr entspricht. Während der mehrwöchigen Schulschließungen im ersten Halbjahr 2021 verbrachten die Schulkinder durchschnittlich nur 4,3 Stunden pro Tag mit schulischen Tätigkeiten – drei Stunden weniger als an einem üblichen Schultag vor Corona.[2] Distanzunterricht, so wie bislang angeboten, ist kein adäquater Ersatz für Präsenzunterricht – das erkennen sogar deutsche Gerichte in ihren Urteilen an.[3] Auch größtes Engagement seitens des Lehrpersonals sowie der Lernenden konnte Unterricht vor Ort nicht kompensieren – auch weil Bildungsarbeit immer Beziehungsarbeit ist. Fast vier von fünf Jugendlichen beklagen Lernlücken durch die Schulschließungen, wie eine repräsentative Allensbach-Umfrage herausfand.[4]

Neben den nicht vermittelten Lerninhalten gingen den jungen Menschen viele Monate wertvoller sozio-emotionaler Entwicklungszeit in der Schulgemeinschaft verloren. Schließlich ist Schule auch ein Ort sozialen Lernens. Eine Schulzeitverlängerung um insgesamt zwölf Monate an allen Schulformen würde eine echte Entschleunigung und Kompensation von Defiziten aller Art möglich machen. Lehrkräfte, Eltern, Schüler – alle würden Zeit gewinnen, um sich einen Überblick über Lernrückstände zu verschaffen und durchzuatmen.

Langschuljahre bieten Zeit für die Planung, welches pädagogische Personal man mittelfristig benötigt. Die Schulzeitverlängerung sollte für die „schnelleren“ Schülerinnen und Schüler ausreichend Flexibilität bieten, damit sie in die nächsthöhere Klassenstufe aufrücken können. Mehr Zeit für die kommenden Absolventen von Abschlussklassen steigert zudem ihre Vermittlungschancen in anschließende Ausbildungen. Die festgestellten Defizite bei eingeschulten Kindern [5] könnten systematischer bearbeitet werden; das Gleiche gilt für den Übergang auf die weiterführenden Schulen.

Bildungspolitik muss Perspektivwechsel vollziehen

Die schulpolitisch Verantwortlichen müssen sich ehrlich eingestehen, dass die beiden Corona-Schuljahre keine normalen Schuljahre waren. Bisherige Lernziele konnten in der Breite nicht erreicht werden. Wir verlangen einen Perspektivwechsel: Die Bedürfnisse und Sichtweisen der Heranwachsenden müssen dabei stärker in den Blick genommen werden.

Begründung: Die aufgrund der Corona-Pandemie veranlassten Schulschließungen und die erlebte Ausnahmesituation belastete viele Schülerinnen und Schüler: Isolation, Angst, exzessiver Medienkonsum, Bewegungsarmut waren die Folge laut COPSY Studie/UKE Hamburg.[6] Für mindestens die Hälfte der Kinder war die Situation während der Schulschließungen eine große psychische Belastung; für die große Mehrheit der Kinder war es eine große Beeinträchtigung, nicht wie gewohnt Freunde treffen zu können.[7] Hierbei sind diejenigen am meisten betroffen, die zu Hause nicht gut aufgefangen werden konnten. Zudem ist für Kinder und Jugendliche ein Jahr ein langer Zeitraum. Um lernbereit und lernfähig zu sein, bedarf es aber stabiler psychischer Voraussetzungen. Experten betonen, dass die stabilen Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind. [8] Statt noch mehr Lerndruck brauchen sie jetzt Qualitätszeit mit Gleichaltrigen – um die emotionalen Belastungen sowie soziale Defizite auszugleichen. Und es braucht Ruhe und Bindung zu Lehrkräften, die mit den Kids Strukturen wieder einüben müssen. Dafür sollte die Politik bundesweit die notwendigen Voraussetzungen schaffen.

Verbindliche schulinterne Konzepte für alle entwickeln

Zusätzliche Förderstunden außerhalb der Unterrichtszeit, privatisierte Nachhilfe, „Lernferien“, Samstagsunterricht oder freiwilliges Wiederholen werden die Lernrückstände in ihrer ganzen Breite nicht aufholen können. Für den ausgefallenen Präsenzunterricht braucht es innerschulische Konzepte. Selbst die nächsten PISA-Studien werden die Defizite schonungslos offenlegen.

Begründung: Nahezu die einzige Lösung, die die schulpolitisch Verantwortlichen aus Bund und Ländern anbieten, sind einige Millionen Euro für außerschulische Aufholprogramme. Und man überträgt den Familien die Verantwortung, diese Angebote zu nutzen. Ein kollektives Problem kann aber nicht individualisiert gelöst werden.

Die Aufholprogramme von Bund und Ländern werden aus folgenden Gründen ihre Ziele verfehlen:

Freiwillige Lernprogramme werden nicht von den Schülern und Schülerinnen angenommen, die die größten Lerndefizite haben. Erfahrungsgemäß nutzen freiwillige Lerncamps eher interessierte Kinder aus mittleren und höheren sozialen Schichten.

Nachholprogramme setzen die schwächsten Schüler am stärksten unter Druck. Sie müssen den Stoff des letzten Schuljahres aufholen und gleichzeitig den darauf aufbauenden Schulstoff der Folgejahre erlernen. Druck für die Schwächsten, damit sich die Stärksten nicht langweilen, ist jedoch das Gegenteil von Bildungsgerechtigkeit.

Das pädagogisch geschulte Personal für derartige außerschulische Programme ist vielerorts nicht vorhanden. Die Programme können darum nicht flächendeckend wirken. Zusätzlich variieren die angedachten Fördermaßnahmen von Bundesland zu Bundesland erheblich in ihrer Umsetzung – ohne bezüglich der zu erwartenden Wirksamkeit überzeugen zu können.[9]

Eine breite Debatte der bildungspolitisch Verantwortlichen anstoßen

Wir wünschen uns zügig eine bundesweite ehrliche Debatte ohne Denkverbote, die die konkreten Erfahrungen vor Ort angemessen berücksichtigt – sowohl öffentlich als auch bei den zuständigen Gremien – damit das Versäumte und Verpasste bei allen Schülerinnen und Schülern aufgeholt werden kann. Am besten in konkreter Kooperation von Bildungsexperten, Lehrpersonal, Eltern und Schülerschaft.

Begründung: Es ist die Aufgabe der Bildungspolitik, jetzt tragfähige, verbindliche Lösungskonzepte zu erarbeiten – und allen die zusätzliche Zeit einzuräumen, die es dafür braucht. Weder organisatorische, finanzielle noch rechtliche Hürden dürfen eine Ausrede darstellen. Es bedarf eines politischen Gestaltungswillens, um der jungen Generation die Unterstützung zukommen zu lassen, die sie dringend nötig hat. Kinder und Jugendliche in diesem Land haben Anspruch darauf, einen Ausgleich für ihre monatelange Disziplin zu erhalten. Es muss eine echte Kompensation für sie geben. Kein Versuch einer erneuten Effizienzsteigerung im Bildungswesen durch Verdichten der Lerninhalte, sondern mehr Zeit zum Leben und Lernen aber auch Raum, um über eine zeitgemäße Schule nachzudenken.

Bundesweite Bildungssolidarität anstreben

Abhängig vom individuellen Umfeld fand das Lernen im Distanzunterricht bundesweit unter sehr unterschiedlichen Bedingungen statt – in technischer und sozialer Hinsicht. Diese ungleichen Lernvoraus-setzungen führten überall zu einem noch größeren Aufklappen der ohnehin schon weit geöffneten Bildungsschere. Diese wieder weitmöglichst zu schließen, sollte unser gemeinsames gesamt-gesellschaftliches Anliegen in ganz Deutschland sein.

Begründung: Leistungsschwächere Schüler und Schülerinnen und Kinder aus sozial benachteiligten Familien haben oftmals zu Hause deutlich weniger effektiv und konzentriert gelernt, fand das DIW Berlin in einer Befragung heraus. [10] Ein Blick auf den Breitband-Atlas Deutschlands zeigt zudem, dass vielerorts gar kein digitaler Unterricht stattfinden konnte; Arbeitsblätter zur selbstständigen Bearbeitung blieben hier die Regel. Und während manche Gymnasien oder die berufsbildenden Schulen noch ganz gut durch den Lockdown gekommen sind, war bei den anderen Schulformen an strukturierten Online-Unterricht oft gar nicht zu denken. Einige Befragungen gehen davon aus, dass an gerade einmal 20 Prozent der Grundschulen digital unterrichtet wurde.[11] Ein Viertel (26%) der Schülerinnen und Schüler hatte täglich gemeinsamen Unterricht für die ganze Klasse (z.B. per Video), aber 39% hatten dies nur maximal einmal pro Woche.[12] Der Online-Unterricht lief an den vielen tausend Schulen im Land zudem höchst unterschiedlich ab und variierte von Lehrerin zu Lehrer deutlich. Das Lehrpersonal war darauf größtenteils nicht vorbereitet. Eine Studie der Frankfurter Goethe-Universität stellt dem Distanzunterricht ein schlechtes Zeugnis aus. Die durchschnittliche Kompetenzentwicklung während der Schulschließungen bezeichnen die Autoren der Studie als Stagnation mit Tendenz sogar zu Kompetenzeinbußen.[13] Gibt es an den Schulen ab Spätsommer 2021 ein „Weiter so“, belastet das vor allem die lernschwächeren Kinder und Jugendlichen. Außerdem ist angesichts der Delta-Variante fraglich, ob das Schuljahr 2021/22 ohne weitere Schulschließungen auskommen wird.

Hier lässt sich die Initiative per Unterschrift unterstützen.

Das Triell der Kanzlerkandidaten hat eine Siegerin

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MEINUNGTagesanbruch

Das Triell hat eine Siegerin

“Sie legen der Industrie Fesseln an”: Die drei Kanzlerkandidaten haben sich in einem ersten Triell kontroverse Debatten um die Klimapolitik, Afghanistan und das Verhältnis zur Linkspartei geliefert. (Quelle: Reuters)

Vier Wochen vor der Bundestagswahl haben sich die drei Kanzlerkandidaten in einem ersten Triell Kontroversen um die Klimapolitik, Afghanistan und das Verhältnis zur Linkspartei geliefert. (Quelle: Reuters)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

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Ein gelungener Auftakt

bisher war der Bundestagswahlkampf mau. Seit gestern Abend ist das anders. Hitzige Wortgefechte oder scharfe Attacken gab es in der ersten Fernsehdebatte der drei Kanzlerkandidaten zwar nicht – aber eine lebhafte Diskussion über viele Fragen, von denen Deutschlands Zukunft abhängt. Keiner der drei Kombattanten trug einen klaren Sieg davon, jeder hatte stärkere und schwächere Momente – und alle versuchten sie, die Bürger in der gesellschaftlichen Mitte auf ihre Seite zu ziehen.

Annalena Baerbock, die nach diversen Fehlern in den vergangenen Wochen Boden verloren hatte, wirkte gut vorbereitet und erfrischend. Sie wiederholte die Grünen-Parolen vom schnellen und entschlossenen Klimaschutz, zeigte sich aber auch in Detailfragen sattelfest: Kohleausstieg vorziehen, Solaranlagen auf jedes neue Gebäude, ab 2030 keine Verbrennungsmotoren mehr. “Die Klimakrise spitzt sich zu, aber die Politik ändert sich nicht: das kann nicht sein”, lautet ihre zentrale Botschaft, sie will den sofortigen Aufbruch in eine klimaneutrale Republik anführen. Besonders glaubwürdig wirkte sie aber auch, als sie wiederholt mehr Unterstützung für Kinder und Familien forderte.

Armin Laschet, der mitsamt CDU und CSU in den Abwärtsstrudel geraten ist, trat zu Beginn kämpferisch auf und setzte sich sogar von seinen Parteifreunden ab: Er geißelte den Afghanistan-Rückzug der Merkel-Regierung als “Desaster”, forderte einen nationalen Sicherheitsrat, damit außenpolitische Entscheidungen künftig schneller getroffen werden, und verlangte eine bessere Ausstattung für die Bundeswehr. Der SPD warf er vor, bei Rüstungsprojekten ständig zu blockieren: Da saßen seine Attacken. Im weiteren Verlauf der Debatte gelang es ihm aber seltener, seine Punkte zu machen, seine oft verkniffene Miene und die Neigung, im entscheidenden Moment nach unten anstatt in die Kamera zu schauen, hinterließen keinen souveränen Eindruck.

Olaf Scholz, den der überraschende Umfrageaufschwung der SPD beflügelt, referierte routiniert über den Umbau der Energieversorgung und die EEG-Umlage und skizzierte, wie er mehr Windräder und Stromtrassen bauen will, indem er Planungsverfahren beschleunigt. Armin Laschets Angriffe ließ er abtropfen und beharrte darauf, dass Steuererhöhungen für Reiche die Gesellschaft gerechter machen. In seiner stoischen Art und mit seiner fast unbeweglichen Miene erinnerte er tatsächlich ein wenig an Angela Merkel, die sich bei ihren TV-Duellen mit Peer Steinbrück und Martin Schulz ebenfalls nicht aus der Reserve hatte locken lassen.

Das war gestern sicher nicht die beste Fernsehdebatte aller Zeiten, aber es war eine Diskussion, die dem Publikum zumindest Orientierung vermittelt hat, welche politischen Alternativen zur Wahl stehen ( Hier lesen Sie die Blitzanalyse unserer Reporter Johannes Bebermeier und Tim Kummert ) . Alle drei Parteien haben Kanzlerkandidaten aufgestellt, die ihr Handwerk verstehen und sich glaubwürdig für das Gemeinwohl einsetzen. Sie haben Überzeugungen, Ideen und Pläne – auch wenn alle drei den Eindruck erwecken, dass sie die tatsächliche Dimension der notwendigen Veränderungen nicht wirklich sehen oder nicht benennen wollen.

Es ist ja nicht nur die Klimakrise oder die digitale Revolution, es ist nicht nur die soziale Spaltung oder die schlechte Ausstattung vieler Schulen, es sind nicht nur die Folgeschäden der Pandemie oder die überteuerten Mieten in Großstädten, es sind nicht nur die Krisen im Nahen und Fernen Osten oder die bedrohliche Macht der chinesischen Diktatur, es ist nicht nur das Artensterben oder das rasante Wachstum der Weltbevölkerung – es sind alle diese Herausforderungen gleichzeitig, auf die die nächste Bundesregierung Antworten geben muss. Ob Herr Scholz, Frau Baerbock oder Herr Laschet dafür geeignet ist? In einer Umfrage nach der Debatte sahen 36 Prozent der Zuschauer den SPD-Mann als Sieger, 30 Prozent die Grüne und 25 Prozent den Unionskandidaten.

Doch auch jetzt dürften immer noch viele Bürger rätseln, wem sie ihre Stimme geben sollen. Wohl noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik gab es wenige Wochen vor einer Bundestagswahl so viele Unentschlossene. Treue CDU-Anhänger sind abgestoßen vom tapsigen Armin Laschet. Menschen, die von den jahrelangen Querelen in der SPD genervt waren, überlegen plötzlich, ob der nüchterne Olaf Scholz womöglich doch wählbar wäre. Und umweltbewusste Leute, die ihren Enkeln keinen zerstörten Planeten hinterlassen wollen, hadern mit der nassforschen Annalena Baerbock. Wohl nicht alle diese Bedenken vermochte die gestrige Debatte aufzulösen.

Eine Siegerin hat sie trotzdem hervorgebracht: Gewonnen hat die demokratische Kultur. Wer sich anschaut, wie vergiftet, polemisch und verletzend politische Debatten in vielen anderen Demokratien geführt werden – seien es die USA, Großbritannien, Ungarn, Polen oder Italien – konnte sich im ersten TV-Triell der Bundestagswahl 2021 über einen fairen Schlagabtausch freuen. So gesehen war dieses Wochenende ein gelungener Auftakt zur heißen Phase des Wahlkampfs. Noch 26 Tage bis zur Entscheidung.


Nach überstandener Debatte lässt sich Armin Laschet vom hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier umarmen. (Quelle: Michael Kappeler/dpa)

Annalena Baerbock stößt im VIP-Zelt mit ihren Mitstreitern an. (Quelle: Michael Kappeler/dpa)

Olaf Scholz wirkte nach dem TV-Auftritt sichtlich gelöst. (Quelle: Michael Kappeler/dpa)

Bei einer Fernsehdebatte findet der eine Teil vor den Kameras statt. Der andere dahinter. Dahinter, das war in diesem Fall das VIP-Zelt im Studio 20 auf dem Filmgelände in Berlin-Adlershof. Bei Häppchen und Getränken und mit Handys im Anschlag versammelten sich dort Politiker und Strategen der drei Parteien, um die Debatte auf großen Bildschirmen zu verfolgen – und den ebenfalls anwesenden Hauptstadtjournalisten zu erzählen, warum gerade ihr Kandidat oder ihre Kandidatin am besten abgeschnitten hatte. Neben den üblichen Solidaritätsadressen konnte man dort manches interessante Detail aus den Planungsstuben des Wahlkampfs erfahren. Auch diese Hintergrundinformationen sind für Berichterstatter wertvoll.

Wertvoller jedenfalls als das parallele Geplapper auf Twitter. Dort trompeten auch gestern Abend wieder Aktivisten, die zwar ihr Geld als Journalisten verdienen, aber ihre professionelle Neutralität aufgegeben haben, ihre Ansichten in die Netzwelt. Seltsames Phänomen, dieses digitale Blasengebrabbel. Es geht darum, möglichst schnell möglichst meinungsstarke Sätze rauszuhauen und dafür möglichst viele “Likes” einzusammeln. Dass die Mehrheit der deutschen Mediennutzer diese aktivistische Selbstbeschäftigung vieler Journalisten eher befremdlich findet und sich stattdessen eine ausgewogene Berichterstattung wünscht, scheint die Kolleginnen und Kollegen nicht zu jucken. Auch so kann man sein Publikum aus den Augen verlieren.


Maas auf Afghanistan-Mission

Heiko Maas auf Verhandlungstour beim türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu. (Quelle: Michael Fischer/dpa)

Mehr als 10.000 Menschen in Afghanistan stehen noch auf den Ausreiselisten des Auswärtigen Amtes. Um auszuloten, wie sie nach dem Ende der militärischen Evakuierung in Sicherheit gebracht werden können, ist Außenminister Heiko Maas gestern zu einer viertägigen Reise in die Region aufgebrochen. Nach der ersten Station in der Türkei, auf der es um den Weiterbetrieb des Flughafens Kabul und die Aufnahme von Flüchtlingen ging, lauten die weiteren Ziele ab heute Usbekistan, Pakistan und Tadschikistan, bevor schließlich Katar folgt. In dem Golfemirat sitzt ja quasi das Außenministerium der Taliban, mit dem der deutsche Unterhändler Markus Potzel schon seit Tagen Gespräche über Ausreisefragen führt.

Auch die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats – Frankreich, Großbritannien, die USA, Russland und China – beraten heute über die Lage in Afghanistan. Dabei wollen sich die Briten und die Franzosen für die Errichtung einer “sicheren Zone” in Kabul einsetzen, wie Präsident Emmanuel Macron angekündigt hat. Dies könne einen UN-Rahmen für Notfälle schaffen, Zuständigkeiten klären und “es der internationalen Gemeinschaft erlauben, Druck auf die Taliban aufrechtzuerhalten”, glaubt er. So kann man die bittere Wahrheit natürlich auch umschreiben: Ohne Kooperation der “Gotteskrieger” sind alle weiteren Evakuierungsbemühungen zum Scheitern verurteilt.


50 Jahre grüner Frieden

Die Umweltschützer von Greenpeace haben sich leider in eine Gurkentruppe verwandelt, wie ihre dämliche Aktion während der Fußball-Europameisterschaft bewies. Aber früher war die Organisation, die 1971 aus dem Protest einer kleinen Aktivistengruppe gegen einen US-Atomtest vor der Küste Alaskas entstand, eine visionäre Garde. Zum heutigen 50. Geburtstag beschwören die Veteranen noch einmal die guten alten Zeiten. Zum Jubiläumsfest kommt nicht nur Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, sondern auch Angela Merkel ins Ozeaneum nach Stralsund. Titel der Diskussion: “Klima, Natur, Mensch: Was muss sich ändern, damit sich endlich etwas ändert?” Ja, das wüsste man wirklich gern.


Tempo 30 in Paris

Anne Hidalgo traut sich, ihre Stadt tiefgreifend zu verändern. (Quelle: Lewis Joly/dpa)

Bürgermeisterin Anne Hidalgo macht Ernst: Ab heute gilt fast in ganz Paris ein Tempolimit von 30 km/h. Ausnahmen sind nur wenige sechsspurige Magistralen wie die Champs-Élysées mit erlaubten 50 km/h sowie der Autobahnstadtring Périphérique mit 70 km/h. 59 Prozent der Pariser hätten einer Geschwindigkeitsbegrenzung bei einer Umfrage zugestimmt, heißt es aus der Stadtverwaltung. 25 Prozent weniger Unfälle, deutlich weniger Lärm, mehr Raum für Radfahrer und damit auch mehr Klimaschutz lauten die Argumente. Bleibt die Frage, wann auch die Bürgermeister deutscher Großstädte auf den Trichter kommen.


Was lesen?

Robert Habeck mit den Moderatoren der Wahlkampfdebatte, rechts Sven Böll, Leiter redaktionelle Entwicklung bei t-online. (Quelle: Marco Urban/t-online)

Robert Habeck und Markus Söder haben sich auf t-online ein spannendes Streitgespräch geliefert. Wer konnte bei welchen Themen punkten? Die Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach hat die beiden Kontrahenten im Interview mit meiner Kollegin Lisa Becke bewertet. Die Debatte können sie übrigens hier noch einmal in voller Länge anschauen (die technischen Probleme sind behoben).


CDU und CSU kommen nicht aus dem Umfragetief heraus. Stellt sich Markus Söder doch noch gegen den Kanzlerkandidaten Armin Laschet? Unser Reporter Tim Kummert hat sich in der Union umgehört.


Die Lage in Afghanistan wird immer gefährlicher. Der Terrorismusexperte Peter Neumann befürchtet nun einen neuen Bürgerkrieg, wie er im Interview mit meiner Kollegin Saskia Leidinger erklärt.


Gestern endete die zwölfwöchige “Tatort”-Sommerpause, ab nächsten Sonntag wird im Ersten wieder frisch ermittelt. Aber wussten Sie, welche Millionenbeiträge in die Finanzierung der Filme fließen und wie bei den Ausgaben getrickst wird? Mein Kollege Steven Sowa hat für Sie hinter die Kulissen geschaut.


Was amüsiert mich?

Jeder hat ja seinen eigenen Eindruck vom Triell bekommen.

(Quelle: Mario Lars)

Ich wünsche Ihnen einen vielversprechenden Wochenbeginn. Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms

Chefredakteur t-online

E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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