Personal an Flughafen verlegt: Deutsche Botschaft in Kabul evakuiert

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Deutschland hat seine Botschaft in Afghanistan wegen des Vorrückens der Taliban auf Kabul geschlossen und das Personal zum militärischen Teil des Flughafens in der afghanischen Hauptstadt verlegt. Das teilte Außenminister Heiko Maas (SPD) am Sonntag auf Twitter mit. „Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind dort inzwischen eingetroffen und stellen ihre Arbeitsfähigkeit her“, erklärte Maas.

Für den Nachmittag habe er erneut den Krisenstab der Bundesregierung einberufen. Es gehe darum, „Sofortmaßnahmen zur Sicherung und zur Ausreise deutscher Bediensteter und weiterer gefährdeter Personen aus Afghanistan auf den Weg zu bringen“.

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Zuvor hatte bereits das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ über die Evakuierung der deutschen Botschaft berichtet. Nach ersten Meldungen über das Eindringen von Taliban-Einheiten in die Stadt seien die etwa 20 Botschaftsangehörigen und die Bundespolizisten, die zum Schutz der diplomatischen Vertretung abgestellt sind, aus Sicherheitsgründen zum militärisch gesicherten Flughafen gebracht worden.

Die Taliban erreichten am Sonntag die afghanische Hauptstadt Kabul. Nun muss es schnell gehen. Fallschirmjäger der Bundeswehr fliegen daher an diesem Montag in Militärtransportern nach Kabul.

Die USA haben bereits damit begonnen, ihr Botschaftspersonals auszufliegen. Der Prozess sei „in vollem Gange“ und solle bis spätestens Dienstagmorgen abgeschlossen sein, berichtete der Sender CNN am Sonntag unter Berufung auf einen namentlich nicht genannten US-Regierungsbeamten. Über der US-Botschaft in Kabul war ein Hubschrauber von Typ Chinook zu sehen. Das Bild erinnerte dabei an Aufnahmen von 1975, als die USA ihre Bürger aus Saigon ausflogen.

Deutschland schickt nach Angaben aus Sicherheitskreisen zudem ein sogenanntes Krisenunterstützungsteam (KuT) aus Experten verschiedener Ministerien in die afghanische Hauptstadt. In der usbekischen Kapitale Taschkent soll ein zweites KuT eine Drehscheibe („Hub“) für die Rettung von Menschen vor den Islamisten organisieren. Es geht um den bislang wohl größten Evakuierungseinsatz der Bundeswehr.

Vielen Ortskräften ist Weg nach Kabul versperrt

Sieben Wochen nach dem Abzug der letzten deutschen Soldaten aus Afghanistan jagte in Berlin in den vergangenen Tagen eine Krisensitzung die nächste. Die heiße Phase begann am Freitag um 11.30 Uhr mit Beratungen im Auswärtigen Amt. Noch können die Zahlen sich verändern, aber es müssen wohl mindestens 57 Botschaftsangehörige und 88 weitere Deutsche ausgeflogen werden. Dazu kommt eine größere Anzahl bedrohter afghanischer Ortskräfte.

Video 00:59 Min. Taliban dringen in afghanische Hauptstadt Kabul ein

Nach einem Hickhack um die Ausreise von afghanischen Mitarbeitern nach Deutschland in den vergangenen Wochen wird nun eine sogenannte All-in-Lösung vorbereitet. Deutsche und ihre Mitarbeiter werden in einem gemeinsamen Einsatz ausgeflogen. Allein Organisationen aus dem Geschäftsbereich des Entwicklungsministeriums haben derzeit noch mehr als 1000 einheimische Mitarbeiter in Afghanistan. Gefährdet sind aber auch Mitarbeiter deutscher Medien.

Werden die Evakuierungskräfte in Kabul angegriffen?

Allerdings sind für viele Ortskräfte die Wege ins rettende Kabul bereits versperrt, nachdem die Taliban ihren Eroberungsfeldzug im Eiltempo und oft auch gegen kampflos kapitulierende Regierungskräfte fortsetzen. Sie stehen nun praktisch vor den Toren Kabuls.

Dass sie die Evakuierungskräfte in der afghanischen Hauptstadt angreifen könnten, gilt den Militärplanern angesichts der wieder verstärkten US-Truppen als eher unwahrscheinlich, sehr wohl aber wird mit einer „Infiltration“ gerechnet.

Die Militärführung hatte deswegen am Freitag auch NH-90-Hubschrauber in Bereitschaft versetzt, die den Transport innerhalb Kabuls übernehmen könnten. Allerdings wurden sie erst jüngst aus Afghanistan abgezogen und müssten nun mit der Kraft der eigenen Triebwerke und über zahlreiche Zwischenstationen zurück an den Hindukusch verlegt werden.

Die Taliban stehen am Stadtrand von Afghanistans Hauptstadt Kabul. Grafik: AFP

Zum Einsatz sollen in der neuen Woche aber vor allem Fallschirmjäger der Division Schnelle Kräfte (DSK) kommen, die die Bundeswehr als Teil der Nationalen Risiko- und Krisenvorsorge für diese Aufgabe bereithält. Die Spezialisten sind in Saarlouis (Saarland) und Seedorf (Niedersachsen) stationiert und gehören allesamt der Luftlandebrigade 1 an. „Sie ist die am schnellsten verfügbare Brigade der Bundeswehr für krisenhafte Entwicklungen im Ausland“, schreibt die Bundeswehr.

Eine Zahl von 300 Soldaten gilt als realistisch

In Seedorf stand man am Wochenende in den Startlöchern. Eine Zahl von 300 Soldaten gilt als realistisch. Zudem sind deutsche Militärpolizisten („Feldjäger“) und Bundeswehrsanitäter beteiligt.

Denn die Evakuierung ist vor allem eine logistische Aufgabe: Menschen auf einer Liste müssen zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem Punkt versammelt und identifiziert werden - notfalls auch in einer feindlichen Umgebung, in der Straßen nicht mehr ungehindert befahren werden können.

Einen solchen Einsatz hat es für die Bundeswehr so weit entfernt noch nicht gegeben. Aber: Beim Zusammenbruch in Albanien im März 1997 hatten deutsche Soldaten mit der „Operation Libelle“ rund 100 Menschen aus Tirana ausgeflogen. Dabei kam es zu einem Schusswechsel. Im Jahr 2011 wurden bei der „Operation Pegasus“ bedrohte Deutsche aus Libyen gebracht.

Bundestagsmandat wird vorbereitet

Für die Evakuierung aus Kabul wird nun ein Bundestagsmandat vorbereitet, auf das in den vergangenen Tagen vor allem Militärexperten drängten. Die Soldaten wollen den Rückhalt der Politik haben. Formal gilt der Evakuierungseinsatz als mandatierungspflichtig, weil eine Basis für das bisherige Mandat nach dem Ende des Nato-Einatzes „Resolute Support“ als nicht mehr gegeben gilt. Allerdings würde bei bei Gefahr im Verzug – also wenn es um Leib und Leben von Deutschen im Ausland geht – auch unverzüglich und auf Basis eines Kabinettsbeschlusses gehandelt.

Spezialkräfte der Bundeswehr bei einer Übung. Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte am Samstag erklärt, sie könne zu operativen Details des Einsatzes keine Auskunft geben. Diese Linie wurde am Sonntag nochmals vom Ministerium bestätigt. Kramp-Karrenbauer hatte angesichts des raschen Vorrückens der Taliban mitgeteilt: „Es hat jetzt absolute Priorität, dass wir die zu Schützenden sicher nach Deutschland bringen.“

Außenminister Heiko Maas (SPD) sagte der „Bild am Sonntag“, er räume der sicheren Ausreise des deutschen Botschaftspersonals aus Afghanistan höchste Priorität ein. „Oberstes Gebot ist jetzt die Sicherheit unseres Botschaftspersonals“, hob der Minister hervor. „Wir werden nicht riskieren, dass unsere Leute den Taliban in die Hände fallen. Wir sind für alle Szenarien vorbereitet.“

Russland will Botschaft nicht räumen

Auch weitere westliche Staaten wie Großbritannien beschleunigen ihre Bemühungen, eigenes Personal und afghanische Ortskräfte vor den Taliban in Sicherheit zu bringen. Auch die zentralasiatische Republik Kasachstan wies am Sonntag an, den Schutz eigener Diplomaten zu verstärken.

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Russland will dagegen seine Botschaft in der afghanischen Hauptstadt vorerst nicht räumen. Eine Evakuierung sei nicht geplant, sagte der Afghanistan-Beauftragte des russischen Außenministeriums, Samir Kabulow, am Sonntag der Agentur Interfax. „Der Botschafter und unsere Mitarbeiter nehmen ihre Aufgaben in aller Ruhe wahr.“ (dpa, AFP)

Afghanistan: Deutsche Botschaft in Kabul geräumt

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Afghanistan: Taliban wollen Beziehungen zu Staatengemeinschaft aufbauen

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Baerbock für Aufnahme von Flüchtlingskontingenten aus Afghanistan

Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock fordert die Aufnahme von Kontingenten afghanischer Flüchtlinge in Europa, den USA und Kanada. Man müsse sich jetzt darauf vorbereiten, „dass weitere Menschen in so einer dramatischen Situation ihr Land verlassen müssen“, sagte sie im „Interview der Woche“ mit dem Deutschlandfunk. Dabei dürfe Deutschland nicht warten, bis sich alle 27 EU-Länder einig seien. Es gelte, sich „mit den europäischen Ländern zusammenzuschließen, die wollen und vor allen Dingen mit den Amerikanern und den Kanadiern, damit wir klare Kontingentregeln gemeinsam vereinbaren“.

Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Mathias Middelberg (CDU), widersprach. Die Forderung, eine große Zahl afghanischer Flüchtlinge in der Europäischen Union aufzunehmen, sei verfehlt, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. „Das Engagement der EU muss vorrangig auf eine Flüchtlingsaufnahme in der Region ausgerichtet werden.“ Wie im Falle Syriens könne hier etwa an eine Unterstützung der Türkei oder ein gemeinsames Vorgehen mit dem Land gedacht werden.